Sie sind in einer Künstlerfamilie aufgewachsen. Welchen Einfluss hatte dies auf Ihre eigene künstlerische Laufbahn?
Mein Vater ist Bildhauer, meine Mutter ist Tänzerin, und meine Großeltern väterlicherseits waren Maler und Keramiker. Mein Urgroßvater, der 1924 den Prix de Rome in der Villa Medici gewann, war ebenfalls Maler und Graveur. Und auch meine ältere Schwester ist eine bildende Künstlerin. Mit sechs Künstlern vor mir, die sich über vier Generationen erstrecken, war die Kunst schon immer Teil meines täglichen Lebens, was sich natürlich auf meine Entscheidung auswirkte, derselben kreativen Berufung zu folgen.
Wie mein Vater wählte ich die Metallskulptur, angezogen von ihrer Energie und ihren unendlichen Möglichkeiten. Vor zehn Jahren erbte ich auch die Radierpresse meines Urgroßvaters und entwickelte ein besonderes Interesse an Monotypien auf Papier, die mit handgepresster Farbe und Druckverfahren hergestellt werden. Jeder Künstler in meiner Familie inspiriert mich mit seiner eigenen Welt und Technik. Diese gegenseitige Beeinflussung, die sich in den aktuellen Arbeiten meines Vaters, meiner Schwester und mir zeigt, war bereits zu Lebzeiten meiner Vorfahren spürbar.
Im Jahr 2023 schrieb die Kunstkritikerin Anne-Laure Peressin, dass es „ein Guerrier-Vokabular, einen Guerrier-Geist, ein Guerrier-Savoir-faire“ gibt.
Welche Emotionen oder Botschaften möchten Sie dem Publikum vermitteln?
Vor allem möchte ich mit meiner Arbeit ein Gefühl der Zufriedenheit und Ruhe vermitteln. Ich glaube, dass die Harmonie zwischen Formen und Materialien sowie zwischen Körpern und Hohlräumen mit dem inneren Gleichgewicht übereinstimmt, das wir alle suchen. Indem ich ein Vokabular scheinbar einfacher Formen verwende, lade ich meine Betrachter ein, dem Material, aus dem das Werk besteht, große Aufmerksamkeit zu schenken.
Ich möchte ihre Neugierde wecken, indem ich sie ermutige, die von mir verwendeten Techniken zu hinterfragen. Es gibt mir ein echtes Gefühl der Befriedigung, ein ausgewogenes Werk zu schaffen, das visuell anregend ist und auf andere Menschen wirkt, so dass sie es anfassen möchten.
Welche Bedeutung hat die Bildhauerei für Sie?
Der Akt des Schaffens ist für mich wesentlich. Es ist meine Art, Ideen auszudrücken und abstrakten Gefühlen eine greifbare Form zu geben. Vor allem die Bildhauerei stellt für mich eine Herausforderung dar: auf das Material zu hören und es nach meinen Vorstellungen zu formen, denn jedes Material hat seine eigenen Eigenschaften und seine eigene spezifische Sprache.
Ob auf Papier oder im großen 3-D-Maßstab, die Abstraktion spielt eine wichtige Rolle in Ihrem Werk. Welche Synergie streben Sie zwischen Ihren verschiedenen Techniken an?
Ob in Metall oder auf Papier, mein künstlerisches Universum ist sehr grafisch, geometrisch und spielerisch. Ich lasse mich von natürlichen Formen inspirieren und erforsche sowohl das unendlich Kleine als auch das unendlich Große. Ich spiele dann mit diesen abstrakten Figuren, indem ich sie manipuliere, vervielfältige und neu zusammensetze. Meine Arbeiten erinnern oft an den Kosmos, die mineralische Welt und die Formen und Symbole unserer Schriftsysteme.
Ich versuche, Routine zu vermeiden, indem ich meine Aktivitäten ständig variiere. Bis heute erforsche ich verschiedene Materialien wie Metall, Holz, Beton, Keramik, Glas, Textilfäden, Papier, Wachs und sogar Seife. Das selbstständige Arbeiten erfordert viel Experimentierfreude, bevor man ein zufriedenstellendes Ergebnis erzielt. Ich genieße diese Phasen des Ausprobierens und Entdeckens, die manchmal die Anfertigung spezieller Werkzeuge erfordern, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen.
Wer und / oder was sind Ihre künstlerischen Einflüsse und Inspirationen?
Die moderne Architektur, die Bauhaus-Schule, das Art-Deco-Design und die Schweizer Typografie beeinflussen meinen kreativen Prozess. Meine Inspirationsquellen sind vielfältig, wobei die Schönheit der Natur an erster Stelle steht. Doch meist ist es das Material selbst, das mich leitet. Das Erforschen verschiedener Medien und Techniken eröffnet eine ganz neue Welt der Möglichkeiten und bringt unvorhersehbare Ideen hervor.
Wie sieht ein Tag im Atelier von Marie Guerrier aus?
Jeder Tag ist einzigartig, ich bin ständig am Recherchieren. Ich sammle Ressourcen, Bilder, wissenschaftliche Daten oder Konzepte, die ich neben spontanen Skizzen und Anmerkungen in ein Notizbuch notiere, bis konkrete Formen und Erzählungen entstehen.
Nach mehreren schnellen Skizzen zur Verfeinerung einer Idee erstelle ich eine technische Zeichnung, oft mit Hilfe digitaler Software, um die Machbarkeit zu prüfen und die Produktionsschritte festzulegen. Schließlich gehe ich zur Produktion in der Werkstatt über, wo ich immer Raum für Improvisation lasse.
Welche Beziehung haben Sie zu Ihren „Totem“-Skulpturen?
Seit einigen Jahren baue ich nun schon vertikale Skulpturen: „Totems“, die ich mit modernen Säulen vergleiche. Im Gegensatz zu diesen antiken architektonischen Elementen, die als Säulen zur Stützung von Sakralbauten verwendet wurden, versuchen meine Totems, sich harmonisch in ihre Umgebung zu integrieren, sie zu strukturieren, ohne sie zu unterteilen.
Von kleinen Skulpturen wie den 25 cm hohen „Dominos“-Totems bis zum 2,10 Meter hohen Duo „Les Éclairs Bleus“ schätze ich die Werke, die Metalldraht mit zylindergegossenem Beton kombinieren. Für mich schaffen sie eine Verbindung zwischen Erde und Himmel und suggerieren die paradoxe Idee der Bewegung trotz materieller Unbeweglichkeit.