Tabitha Soren stellt ihre neue Fotoserie „Motherload“ vor
Tabitha Soren stellt ihre neue Fotoserie „Motherload“ vor
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Interviews mit Künstlern

Tabitha Soren stellt ihre neue Fotoserie „Motherload“ vor

Tabitha Soren reflektiert über die Inspiration hinter ihrer neuesten Fotoserie Motherload. Ursprünglich als Ausgleich zu ihrer Rolle als Mutter und Künstlerin gedacht, entwickelte sich das Projekt schnell zu einer kühnen Erkundung der Frage, ob es wirklich möglich ist, Mutterschaft und kreativen Erfolg miteinander zu vereinbaren.

Von Rise Art | 26. März 2025

Als ich zum ersten Mal über Motherload von Tabitha Soren las, fesselten mich nicht zuerst die Bilder – sondern ein Satz: „Dieses Projekt entstand als Absicherung, damit mein Leben als Mutter nicht mein Leben als Künstlerin verschlingt.“ Und dann dieser Nachsatz: „Es hat immer Künstlerinnen gegeben – auch sehr ehrgeizige –, die nie daran gezweifelt haben, dass man Mutterschaft und kreative Arbeit miteinander vereinbaren kann. Motherload ist nicht für sie.

Wenn Ihnen Sorens Werk noch nicht vertraut ist: Sie hat sich innerhalb der Fotokunst eine ganz eigene Nische erschlossen. Statt nach dem berühmten „entscheidenden Moment“ zu jagen, fängt sie das Dazwischen ein – das Unfertige, Aufgeschobene. Mit einem journalistischen Blick für die Brüche des Alltags untersucht sie das, was sie „Hindernisse der menschlichen Begegnung“ nennt – all die kleinen und großen Störungen, die unsere Weltwahrnehmung formen. In Motherload hält sie genau das fest: das Chaos, die Wiederholung, das Unsichtbare der Fürsorgearbeit – wie sie Identität überlagert, kreative Energie aufsaugt.

Warum mich ihre Projektbeschreibung so tief getroffen hat? Vielleicht, weil das gesellschaftliche Gespräch über Mutterschaft zwar lauter wird – Schlafentzug, emotionale Achterbahn, körperliche Erschöpfung –, wir uns aber immer noch aus einer sehr geschönten Vorstellung vom Muttersein herausarbeiten. Überforderte Mütter werden schnell als inkompetent abgestempelt. „Der Druck, es lieben zu müssen, Mutter zu sein, war in meinem Umfeld enorm. Dieses Projekt war mein Versuch, mit diesem Druck und meiner eigenen Ambivalenz umzugehen – darüber, Mutter zu sein, und darüber, ob ich eine gute Mutter bin.“

Tabitha Soren: Motherload
The Month The Baby Slept Through The Night von Tabitha Soren (Hahnemule Baryta Archival Pigment Print, 2022, 56 x 86 cm) | Auflage von 7

Soren lässt sich auf diesen Druck nicht ein. Ihre Arbeit verschönt nichts. Sie zeigt eine Lebensphase, die oft chaotisch, erschöpft und unfertig ist. „Statt Glücksgefühlen fühlte ich mich überfordert, ständig gebraucht – und gleichzeitig völlig unsichtbar. Diese geisterhaften Bilder spiegeln das Gefühl, nicht mehr ganz ich selbst zu sein. Ich war nicht scharf im Bild, weil mein Kopf auch nicht klar war. Und ich war aus dem Blickfeld der Welt verschwunden – weil ich auf meiner Bettseite lag, stillend, schlafend, tröstend, wiegend, wickelnd … Ganz ehrlich: Künstlerin und Mutter zu sein fühlt sich an, als würde man mit Gewichten an den Füßen rennen.“

Als Fotografin sucht Soren sonst Klarheit – hier arbeitet sie bewusst mit Unschärfe und Zeitverläufen. In ihren Porträts tauchen ihre beiden Töchter auf, treten ins Bild, verschwinden wieder. Sie machen die Szenen komplexer, dichter. Dieses Werk ist kein bloßes Selbstporträt, sondern eine stille Meditation über die widersprüchliche, wechselhafte und oft einsame Erfahrung von Mutterschaft.

Tabitha Soren: Motherload
Motherload-Installation

Wütende oder groteske Werke von Künstlerinnen kennen wir – von Judith enthauptet Holofernes bis The Three Minute Scream. Aber übermüdete, isolierte, ausgebrannte Mütter? Die fehlen. „Ich habe so oft nachgesehen, ob eine andere Künstlerin Mutter ist. Ich denke: Ihr Werk ist grandios – aber hat sie Kinder? Sind wir im selben Rennen?“ Es ist nicht so, dass hier ein neues Genre entsteht. Soren verweist auf das Buch Mother Reader, das weitere Perspektiven auf Mutterschaft und Kunst eröffnet. Aber vielleicht ist es jetzt zum ersten Mal überhaupt möglich, öffentlich zu benennen, wie sehr Mutterschaft kreative Prozesse einschränkt. „Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Nicht weil es nicht existierte, sondern weil es keine Plattform dafür gab. Und genau das war für mich ein guter Grund, es zu machen.“

Tabitha Soren: Motherload
Tabitha Soren neben ihrer Tochter bei einer Ausstellung von Werken der Künstlerin

Die Luftaufnahmen in diesem Projekt sind nicht nur eine technische Notwendigkeit – sie geben auch einen neuen Blick auf Mutterschaft. Einen, der nicht am Einzelfall klebt, sondern die Struktur dahinter zeigt. „Für mich war diese Kameraperspektive auch praktisch – das Equipment blieb im Raum, aber außer Reichweite von Kindern oder meinem Mann. Gleichzeitig erlaubt sie eine übergeordnete, universelle Perspektive.“

Tabitha Soren: Motherload
My Great American Novel von Tabitha Soren (Hahnemule Baryta Archivalischer Pigmentdruck, 2022, 56 x 86 cm) | Auflage von 7

In My Great American Novel überlagert Soren 400 Einzelbilder zu einem Zeitraffer. Die Tage verschmelzen. „Ich liebe es, dass sich in einem einzigen Bild die Zeit dehnt und der Raum schrumpft.“ Der Titel des Werks ist ironisch: Während ihr Mann einen Bestsellerroman schrieb, kämpfte sie darum, „dieses Baby am Leben zu halten“. Was sie in dieser Serie erforscht, ist der innere Konflikt: für jemanden da sein, ihn lieben – und trotzdem dem eigenen künstlerischen Anspruch gerecht werden. „Ich glaube, Männer tun sich oft leichter, egoistisch zu sein. Und als Künstler*in braucht man eine gewisse Portion Egoismus. Dass ich mich immer wieder mit Mutterschaft beschäftige, liegt daran, dass ich in diesem Prozess realisiert habe: Ich bin Künstlerin und Mutter. Und auf beides gleich stolz.“

In all diesen Bildern sehe ich Durchhaltevermögen. Vielleicht auch Wut – über die mangelnde Unterstützung für Künstlerinnen mit Kindern. Aber diese Wut ist verarbeitet, verwandelt in Schichten aus Tiefe. „Wenn ich mir diese Werke heute ansehe, fühle ich mich wie eine Überlebende.“

Motherload ist ein Schutzschild gegen die Vorstellung, dass Mutterschaft zwangsläufig das Künstlerinnendasein verschlingt. Es ist kein hoffnungsloses Werk. „Meine Kunst beschäftigt sich mit den Schmerzräumen, in denen wir leben – aber auch mit dem, was uns durchträgt. Deshalb dauert es so lange, bis ich eine Arbeit abschließe: Jede enthält Schichten von Erfahrungen – Höhen und Tiefen. Psychische Zustände zu erforschen, war schon immer mein zentrales Thema – egal ob ich Athlet*innen, Babys oder Fingerabdrücke fotografiere. Jede Aufnahme erzählt etwas über die Tiefe menschlichen Erlebens. Und diese Tiefe braucht Zeit, um sichtbar zu werden.“

Tabitha Soren: Motherload
Running With Weights On von Tabitha Soren (Hahnemule Baryta Archivalischer Pigmentdruck, 2022, 56 x 86 cm) | Auflage von 7

Motherload, über 15 Jahre hinweg entstanden, geht über Sorens persönliche Geschichte hinaus. Es lädt dazu ein, Mutterschaft als kollektive Erfahrung zu begreifen. Sie analysiert keine Traumata, benennt keine einzelnen Schmerzen – sondern folgt den feinen, schwer greifbaren Fäden, die uns verbinden. Keine leichte Aufgabe – ohne in Sentimentalität oder Kitsch zu verfallen. Und doch bleibt ihr Werk fest verankert in der ungeschönten Wirklichkeit.

Mehr über Tabitha Sorens Arbeiten finden Sie in ihrer Online-Galerie oder im direkten Kontakt mit einer Kuratorin hier.

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