Da Kunst und Sex in der Kunstgeschichte immer schon Hand in Hand gegangen sind, kann es manchmal schwer sein, Kunstwerke und Pornografie zu unterscheiden.
Von klassischen griechischen Skulpturen und den Fresken Pompejis bis zu den Gemälden und Drucken der Moderne: Auf der ganzen Welt ist die künstlerische Tradition voll von Kunstwerken, die verdächtig nach, nun, Pornografie aussehen. Woran lässt sich also festmachen, ob etwas künstlerisch oder pornografisch ist?
Kunst und Pornografie – ein verbotener Bund?
Kunst und Pornografie miteinander zu vereinbaren, fällt uns nicht gerade leicht. In der Geschichte gilt die Kunst als Gefäß unserer ehrbarsten Eigenschaften und Werte. Die Pornografie wiederum wird als schmutzig und beschämend angesehen. Die Kombination von Kunst und Pornografie untergräbt also die Fähigkeit der Kunst, uns über unsere Urinstinkte zu erheben.
Interessanterweise wäre das, was in der europäischen Kunst heute als pornografisch eingestuft werden würde, nur wenige Jahrhunderte zuvor ein gehegtes und gepflegtes Erbstück gewesen. So zeigt der Warren-Kelch (5–15 n. Chr.) unverblümt die griechisch-römische Praktik der Päderastie, bei der ältere Männer jüngere Männer als Sexualpartner wählten. Ursprünglich als wertvoller Schatz gelobt, wurde eine öffentliche Ausstellung des Kelches wegen seiner von der Norm abweichenden Darstellung abgelehnt.
Künstler oder Pornograf?
Ist es die Perversität der Pornografie, die sie von der Kunst unterscheidet? Ein Argument lautet, dass die Pornografie relativ eindimensional ist, ohne künstlerischen Wert, da Pornografen lediglich an der sexuellen Erregung der Betrachter und der Kommerzialisierung von Sex interessiert sind. Letzteres könnte vielleicht zutreffen, was aber machen wir mit der Komplexität von Jeff Koons Made In Heaven (1989)? Oder Robert Mapplethorpes Self-Portrait With Whip (Selbstporträt mit Peitsche) (1978)? Beide sind ikonische, vom Künstler selbst als pornografisch bezeichnete Werke; beide weichen zweifelsohne von der Norm ab.
In ihrer Studie zur Differenzierung von erotischer Kunst und Pornografie postuliert Anne W. Eaton, dass die Ethik den Unterschied macht. Während man bei der Pornografie davon ausgehe, dass die dargestellten Personen erniedrigt und zu Objekten degradiert werden, so die Philosophin, respektiere die erotische Kunst die Handlungskompetenz und psychologische Tiefe ihrer Subjekte. Im Gegensatz zur erotischen oder pornografischen Kunst wird in der Pornografie alles entblößt und nur sehr wenig unserer Fantasie überlassen. Umgekehrt stimuliert die Erotik unsere Vorstellungskraft. Sie verbirgt, um unsere verborgensten Fantasien und Gefühle zu offenbaren. Die individuelle Interpretation bleibt dabei einzigartig und intim.
Was aber machen wir mit den Hintergrundgeschichten zu Kunstwerken des Realisten Auguste Rodin oder des abstrakten Expressionisten Pablo Picasso? Inspirationsquelle für viele dieser Werke waren Affären mit verlassenen Geliebten. Respektiert die leichtfertige Darstellung der nackten weiblichen Modelle die psychologische Tiefe ihrer Subjekte? Macht die gewissermaßen vulgäre Konzeption diese Kunst dann nicht doch zur Pornografie? Die Grenzen scheinen hier nicht ganz so eindeutig gezogen zu sein.
Schon vor dem schamlosen Warren-Kelch nahmen sich Künstler nackte Tatsachen vor. Die unzähligen prähistorischen Malereien zeigen sexuelle Handlungen, häufig als Bestandteil religiöser Zeremonien. Dann wäre da noch das Vermächtnis Pompejis und der Phallus-Kult. Die Menschen hingen damals offen pornografische Bilder über ihre Türen, in der Hoffnung, dies würde ihnen Fruchtbarkeit bringen. Von den heidnischen Riten zu den Praktiken des Fernen Ostens – die weltweite Geschichte der Kunst zeigt eine tiefgreifende Faszination für das Sexuelle.
In der Kunst werden die Ungleichheit der Geschlechter, Machtverhältnisse und soziokulturelle Strukturen nach wie vor hinterfragt und unterlaufen. Wir loben viele Kunstwerke mit pornografischen Inhalten als revolutionär und notwendig. Soll die Kunst schließlich nicht über unsere Erwartungen hinausgehen? Oder als aufrüttelndes Fenster zu all unseren Unzulänglichkeiten und Verletzlichkeiten dienen? Werfen wir einen Blick auf Künstler, die die Grenzen zwischen Pornografie und Kunst verwischen.
Kunst hautnah
Der japanische Künstler, Ukiyo-e-Maler und Druckgrafiker der Edo-Zeit Katsushika Hokusai (1760–1849) ist wahrscheinlich insbesondere für seine Landschaftsdrucke wie Die große Welle vor Kanagawa (1830) bekannt. In seiner Malerei befasste er sich aber auch mit leidenschaftlichen Liebesszenen. Trotz vieler Vergewaltigungsdarstellungen erfreuen sich seine wilden, grafischen Kunstwerke im Westen nach wie vor großer Beliebtheit. Der Farbholzschnitt Die Adonis-Pflanze (1815), der häufig als eines seiner Meisterwerke gefeiert wird, zeigt eine Vergewaltigungsszene in einem Badehaus.
Der österreichische Maler Egon Schiele (1890–1918) saß wegen der anstößigen, sexuellen Darstellungen in seinen Radierungen und Zeichnungen eine Zeit lang im Gefängnis. Der Protegé von Gustav Klimt ist bekannt für die Intensität seiner Akt-Selbstporträts, die häufig junge Prostituierte aus den Straßen von Wien darstellen. Seine zarten, expressionistischen Figuren, die ausdrucksstarken Linien und strahlenden Farbinjektionen werden weltweit hochgeschätzt.
Bis in die Puppen
In Galerien waren Sexspielzeuge bisher ein seltener Gast, hatten dann aber die Gelegenheit, ihre Funktion als sexuelle Gerätschaft zu einem bedeutungsvollen Kunstwerk zu transzendieren. Die fetischisierten, puppenhaften Darstellungen von Frauen reichen bis zum Surrealisten Hans Bellmer (1902–75) und seine lebensgroßen, pubertierenden Frauenpuppen zurück, die er Mitte der 1930er Jahre erschuf. In den 1960er Jahren kamen die berüchtigten Assemblagen von Edward Kienholz (1927–94) hinzu. Auch der disruptive Film Doll Clothes (1975) von Cindy Sherman (geboren 1954) soll hier nicht unerwähnt bleiben, der sich mit grundlegenden Gender-Konstrukt befasst.
Obendrein gossen Feministinnen 1969 angeblich Lösungsmittel auf den sexuell subversiven Chair von Allen Jones. Das Fetischobjekt, das aus einer barbusigen Frau in Lederklamotten bestand, die zu einem Möbelstück umfunktioniert wurde, war Gegenstand sehr kontroverser Diskussionen. Bis heute ist unklar, ob die Arbeit einen humoristischen Fehlschlag zeigt oder bewusst chauvinistisch war.
Insbesondere Sarah Lucas (geboren 1962) hat die derartige Darstellung von Frauen als Objekte immer wieder kritisch hinterfragt. Die Installation Bunny Gets Snookered (1997) ist vielleicht eine ihrer bekanntesten Darstellungen der Erniedrigung von Frauen. Lucas stopfte Strumpfhosen mit Baumwollwatte aus und erschuf damit Häschenfiguren, deren herabhängende Gliedmaßen an einen Bürostuhl geklammert wurden. Sie nimmt damit Bezug auf die Pornografie und Populärkultur und hält dem männlichen Blick einen Spiegel vor. Dadurch wird der stereotype, machohafte feuchte Traum in eine Horrorshow passiver, grotesker Formen verwandelt.
Im selben Stil hinterfragt Tracey Emin, ebenfalls eine der ursprünglichen Young British Artists, in ihren konfessionellen Arbeiten unsere Wahrnehmung von Frauen und ihrem Körper. Die einflussreiche Fotografie I’ve Got It All (Ich habe alles, was ich mir wünschen kann) (2000), untermauert ihre aggressive Ehrlichkeit und parodiert die Kommerzialisierung des weiblichen Körpers.
Kunst, die einen Nerv trifft
Wie es scheint, schließen sich die beiden Kategorien nicht gegenseitig aus. Alle zuvor genannten Kunstwerke haben gemein, dass sie im Betrachter eine emotionale Reaktion hervorrufen. Wenn wir Kunst danach beurteilen, ob sie etwas in uns bewegt, im Positiven wie im Negativen, dann entsprechen diese Grenzgänger zwischen Kunst und Pornografie durchaus den Anforderungen.
Viele Kreative haben durch die Manipulation sexueller Inhalte in ihrer Kunst den Status quo hinterfragt – um Tabus in Bezug auf die Sexualität zu brechen oder die ungleiche Stellung der Geschlechter aufzuzeigen. Und auch wenn durch die Betrachtung erotischer Kunst sexuelle Erregung entstehen kann, ist dies nicht die einzig mögliche Reaktion des Betrachters. Die Frage, was Kunst von Pornografie unterscheidet, ist vielleicht weniger spannend als das Kunstwerk, das uns diese Frage stellen lässt.