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Kunstströmungen

Art déco vs. Jugendstil

Der Jugendstil (Art nouveau) und Art déco sind zwei bestimmende Strömungen des 20. Jahrhunderts. Im Kunst-Guide von Rise Art erfahren Sie, was diese beiden Kunstrichtungen ausmacht.

Von Tatty Martin

Jugendstil und Art déco sind zwei bestimmende Strömungen des 20. Jahrhunderts, die alle Elemente der visuellen Kultur beeinflusst haben – von der bildenden Kunst und Design über die Architektur bis hin zur grafischen Kunst. Während der Jugendstil elegante Kurven und langgeschwungene Linien feiert, stehen im Art déco spitze Winkel und geometrische Formen im Fokus.

Auch wenn die beiden Strömungen häufig miteinander verwechselt werden, bezeichnen sie doch vollständig unterschiedliche Richtungen der modernen Kunst. Beide Stile eint jedoch ihre enorme Reichweite und die Tatsache, dass sie die Zeit widerspiegeln, in der sie entstanden sind. Jugendstil und Art déco befassen sich mit der vorhandenen kulturellen Stimmung und den Themen der Gesellschaft, weshalb sie so viele Aspekte der heutigen visuellen Kunst geprägt haben.

Sunset, 2017, von Gareth Griffiths

 

Jugendstil

Der Jugendstil entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die „neue Kunst“ bzw. „Art nouveau“ wird häufig als die erste moderne Kunstrichtung bezeichnet, die den Weg für die darauffolgende Avantgarde ebnete. Inspirationsquelle des Jugendstils – geboren aus dem Wunsch, alle Kunst zu vereinen und die bestehenden Grenzen zwischen bildender und dekorativer Kunst zu öffnen – ist weniger die Vergangenheit, sondern vielmehr die Gegenwart und das Versprechen der Zukunft. Den Blick auf kommende Zeiten gerichtet, ließ der Jugendstil alle Beschränkungen der traditionellen Kunst hinter sich und kennzeichnete einen neuen Stil für das neue Jahrhundert.

 

Die industriellen Ursprünge des Jugendstils

Die Geburtsstunde des Jugendstils kommt zu einer Zeit der Industrialisierung, als die moderne Identität Europas durch eine arbeitssame Einstellung und eine stetig wachsende Steigerung der Massenproduktion definiert wurde. Der Jugendstil begrüßte die industrielle Revolution zwar, verwehrte sich aber auch gegen sie: Man feierte die Kunstfertigkeit und das Können des Künstlers bzw. der Künstlerin, bediente sich jedoch auch stilisierter Formen der Automatisierung und Industrialisierung.

Abstract 601, 2019, von Jinsheng You

 

Farben und Bildmotive

Insbesondere die Natur als Inspiration macht den Jugendstil aus. In Kunstwerken, in der Architektur und im Design des Jugendstils findet sich mit seinen sanften Kurven, anmutigen Übergängen und tanzenden Linien häufig ein Widerhall der Formen und Strukturen organischer Gebilde. Jedes Designelement fügt sich nahtlos in eine harmonische Ästhetik. Den Formen und Linien scheint eine größere Bedeutung zuzukommen als den Farben; die neutrale Farbpalette dient im Wesentlichen dazu, die Komposition und Muster zu unterstreichen. Die Farbgestaltung ist kein definierendes Merkmal des Jugendstils, auch ist sie nicht besonders auffällig oder markant. Im Jugendstil werden vorwiegend gedeckte Farben verwendet: von Terracotta und Senfgelb über Olivgrün bis hin zu sanften Blautönen.

Molecule #8, 2019, von Alexander Grigorev

 

„Der Kuss“ von Gustav Klimt

„Der Kuss“ von Gustav Klimt wird häufig als eines der berühmtesten Beispiele des Jugendstils genannt. Das Gemälde entstand in der späteren Phase der ersten Welle dieser Kunstströmung und enthält organische Formen, gemusterte Motive und eine dekorative Qualität, die den Konventionen des Wiener Jugendstils entspricht, einer lokalen Variante des Art nouveau. Das Kunstwerk kennzeichnet außerdem eine entscheidende Zeit in der Entwicklung des Jugendstils, als sich die einst lineare Kunstbewegung aufteilte und die zukünftigen Avantgarde-Bewegungen beflügelte.

 

„Der Kuss“ von Gustav Klimt (mit freundlicher Genehmigung von „gustav-klimt.com“)

 

Art déco

Nach 30-jähriger Vorherrschaft des Jugendstils ebbte dessen Faszinationskraft ab und die Kunstwelt wandte sich neuen aufstrebenden Stilrichtungen zu. Der Art déco trat erstmals 1920 in Erscheinung. Ein großer Impulsgeber war hierfür die Weltausstellung des Kunstgewerbes und des Industriedesigns 1925 in Paris. Zunächst wurde die Strömung nach dieser bedeutsamen Ausstellung benannt und erst in den 1960er Jahren erhielt sie die Bezeichnung „Art déco“.

 

Technik als Inspirationsquelle

Elegant, stromlinienförmig und symmetrisch: Art-déco-Kunst ist dekorativ und ausgewogen. Vieles an der Optik des Art déco war von der Technik inspiriert, mit Schwerpunkt auf vertikale Linien, Zickzack-Muster und rechteckige Formen. Darin spiegelt sich das Aufkommen der maschinellen Produktion sowie der Fortschritt in der Materialbearbeitung, unter anderem Aluminium, Edelstahl, Glas und Kunststoff. Der Art-déco-Stil verkörperte den rasanten, kühnen und aufregenden Geist des frühen 20. Jahrhunderts.

Window, 2017, von Nigel Bird

 

Aufstieg des Art déco und Zurückdrängung des Jugendstils

Der Art déco markiert einen Wandel, während gleichzeitig an bestimmten zentralen Themen der Jugendstilbewegung festgehalten wurde. In vielerlei Hinsicht entsprang der Art déco aus dem abnehmendem Interesse am Jugendstil. Art déco hält an der Wertschätzung der modernen Handwerkskunst fest und verband die kreative Fingerfertigkeit mit technischem Fortschritt. Der Art déco war zudem beeinflusst von der ägyptischen, aztekischen und mittelamerikanischen Kunst, die während dieses Jahrhunderts von der westlichen Welt nach und nach entdeckt wurde.

 

Einflüsse der Avantgarde

Im Gegensatz zum Jugendstil entwickelte sich der Art déco zu einer Zeit, als die Kunstszene von der Avantgarde dominiert wurde. Der Kubismus war mit seinen scharfen Kanten und seiner geometrischen Ästhetik ebenfalls sehr einflussreich, ebenso wie die Faszination mit dem Maschinen- und Industriezeitalter. Stilistische Elemente des Art déco finden sich zudem in der gewinkelten und dynamischen Anmutung futuristischer Kunstwerke. Der Art déco verband wie kaum eine andere Stilrichtung Kunst, Design und Architektur und fand insbesondere in den USA zahlreiche Anhänger. Berühmte Gebäude in New York, wie das Chrysler Building und das Empire State Building, verkörpern den Art-déco-Stil und zählen zu den bekanntesten Exemplaren moderner Architektur.

Squares, Lines and Time., 2020, von Nigel Bird

 

Aktuelle Trends im Art déco und Jugendstil

Im Art déco und Jugendstil kamen und gingen immer wieder unterschiedliche Trends. Beide Stilrichtungen sind jedoch nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der modernen Designkunst. Beispiele für Jugendstil und Art déco finden sich in ganz Europa und in den the USA. Sie sind ungebrochen beliebt im Innen- und Möbeldesign, aber auch in der Ölmalerei und Keramik. Auf der ganzen Welt bedienen sich Künstler*innen der Stilelemente des Art nouveau und Art déco. Sie werden adaptiert, kombiniert oder auch treu übernommen. Dies macht deutlich, dass beide Stilrichtungen auch in der Gegenwartskunst und -kultur eine vorherrschende Rolle spielen.

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